Die Weichen für eine neue Finanzkrise sind gestellt
Es liegt an politischen Entscheidungen, ob die nächste Finanzkrise kommt oder nicht. Entweder die Politik widersteht dem Druck der Finanzlobby und stärkt die Regulierung des Finanzsektors. Oder sie wiederholt die Fehler der Krise von 2008.
2008: Eine Krise, aus der wir hätten lernen müssen
Im Jahr 2008 erlebte die Welt die schlimmste Finanzkrise seit der Großen Depression. Vielen Finanzinstituten war klar, dass sie “too big to fail” waren – zu groß zum Scheitern. Sie waren leichtsinnig Risiken eingegangen im Vertrauen darauf, dass Steuerzahler für ihre Verluste aufkommen würden. Ein Phänomen, das unter dem Begriff “Moral Hazard” bekannt ist: Banken und Versicherer waren im Streben nach privaten Gewinnen immer größere Risiken eingegangen.
Als der Crash dann kam, löste er eine weltweite Rezession aus. Der wirtschaftliche Einbruch führte zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit in vielen Ländern. Er sorgte außerdem dafür, dass Steuerzahler für riesige Bankenrettungspakete aufkommen mussten. Öffentliche Gelder in Billionenhöhe flossen in Rettungsaktionen. Diese Ausgaben sorgten im Gegenzug dafür, dass öffentliche Leistungeneingeschränkt wurden und nationale Haushalte dauerhaft unter Druck gerieten. Auch die Ungleichheit in vielen gesellschaftlichen Bereichen verschärfte sich weiter. Die Nachbeben der Finanzkrise waren noch Jahre später zu spüren, verlängerten die Instabilität und waren nicht zuletzt Auslöser der Krise in der Eurozone. Die Gesellschaften hatten enorme Kosten zu tragen.
Das falsche Narrativ der Lobby
Als Antwort auf die Finanzkrise führten Regierungen und internationale Institutionen globale Bankenregeln ein, um riskante Geschäfte einzudämmen. Genau diese Regeln, die eigentlich der Vermeidung einer neuen Finanzkrise dienen sollten, werden jedoch aktuell ausgehöhlt. Die Erinnerungen an die Krise sind in Vergessenheit geraten und die Finanzlobby ist mit voller Macht zurückgekehrt. Auf EU-Ebene nutzen Vertreter der Finanzindustrie eine allgemeine Deregulierungsstimmung, um die bestehenden Vorschriften als Belastung darzustellen. So argumentieren Akteure der Finanzbranche, eine Deregulierung der Finanzindustrie würde die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft verbessern. Politische Entscheidungsträger schenken diesem Argument Glauben und heben so genau diejenigen Regeln auf, die das System eigentlich schützen sollen.
Dies zeigt sich exemplarisch bei der Umsetzung der globalen Bankenregeln namens „Basel III”. Die Basel-III-Vorschriften legen fest, dass Banken über mehr Eigenmittel, sogenanntes Eigenkapital, verfügen müssen, um im Krisenfall Verluste abdecken zu können. Der Grundgedanke hinter dieser Regulierung: Mehr Eigenkapital reduziert die Wahrscheinlichkeit eines Bankenzusammenbruchs und schützt den Steuerzahler vor teuren Rettungspaketen. Doch sowohl in der EU als auch in den USA wurde die Umsetzung von Basel III geschwächt und verzögert. Viele Banken erhielten Ausnahmeregelungen und Fristverlängerungen.
Beispiel EU: Das Europäische Parlament hat im Herbst 2024 einen Vorschlag angenommen, der vorsieht, dass die Umsetzung der grundlegenden Überarbeitung eines wichtigen Teils der Basel-III-Regeln, dassogenannte Handelsbuch (FRTB), verschoben wird. Die im Handelsbuch enthaltenen Vorschriften sollen sicherstellen, dass Banken Verluste aus Marktrisiken bewältigen können, etwa wenn die Preise der von ihnen gehandelten Wertpapiere und Derivate fallen. Zwar wurde die FRTB 2016 als Teil der EU-Bankenregeln eingeführt, ihr Start aber in der EU bereits auf 2026 verschoben.
Diese Zugeständnisse kommen nicht von ungefähr. Finanzlobby-Verbände spielen hierbei eine tragende Rolle. Sie argumentieren, dass Vorschriften, die Banken widerstandsfähiger machen, die Kreditvergabe und damit das Wirtschaftswachstum einschränken. Doch diese Behauptungen entbehren jeder Grundlage. Gut kapitalisierte Banken vergeben mehr, nicht weniger Kredite. Finanzielle Stabilität ist also keinesfalls ein Hindernis für Wachstum, sondern die Voraussetzung für eine florierende Wirtschaft.
Das Absinken auf ein niedriges Niveau
Einigen EU-Mitgliedsstaaten reicht es nicht aus, die Umsetzung der Bankenvorschriften aufzuschieben. Eine wachsende Anzahl von Mitgliedstaaten fordert eine dauerhafte Lockerung der europäischen Bankenregeln. Für einige ist das Ziel dieser Lockerung, im Deregulierungswettlauf mit den USA und dem Vereinigten Königreich die Nase vorn zu haben. Anfang des Jahres forderte zum Beispiel die französische Regierung tiefgreifende und dauerhafte Änderungen an der FRTB. Es folgte eine gemeinsame Initiative von Frankreich, Deutschland und Italien für eine vollständige Neubewertung der EU-Bankenvorschriften. Die Europäische Kommission antwortete und versprach einen Bericht zur Bewertung der Wettbewerbsfähigkeit des EU-Bankensektors. Das zeigt: Die Finanzlobby hat für einen allgemeinen Stimmungswandel unter EU-Mitgliedsstaaten gesorgt. Risikofreudige Banken werden nun als wettbewerbsfähiger dargestellt, und es wird eifrig nach Vorwänden gesucht, um Schutzmaßnahmen aufzuweichen.
Doch wenn politische Entscheidungsträger wie die Mitglieder des Europäischen Parlaments sich diesem Druck beugen und die Vorschriften lockern, verschwinden die Risiken nicht etwa. Sie werden vielmehr auf lange Sicht von der Gesellschaft zu tragen sein. Banken, die wissen, dass sie “too big to fail” sind , können rücksichtslose Risiken eingehen, wohl wissend, dass Steuerzahler, Verbraucher und Arbeitnehmer letztlich den Preis hierfür zahlen werden. Diese Dynamik privatisiert die Gewinne und sozialisiert die Risiken – eine Lektion, die wir aus dem Jahr 2008 gelernt haben sollten.
Der Zusammenbruch der Credit Suisse im März 2023 war eine schmerzhafte Erinnerung daran, was passiert, wenn ein großes Bankhaus außer Kontrolle gerät. Jahrelange riskante Geschäfte und Misswirtschaft, begünstigt durch eine unzureichende Aufsicht, führten zum Zusammenbruch einer der größten Banken der Welt. Eine sich langsam ausbreitende Krise untergrub das Vertrauen der Anleger und löste schließlich eine Notübernahme aus, die eine noch größere Finanzinstabilität verhindern sollte. Wieder einmal wurden öffentliche Gelder eingesetzt, um ein Finanzinstitut zu stabilisieren, das als zu groß für einen Konkurs galt.
Das war kein Einzelfall. Etwa zur gleichen Zeit mussten die US-Behörden eingreifen, um Auswirkungen des Zusammenbruchs der Silicon Valley Bank (SVB) zu verhindern. In beiden Fällen konnten die in Schieflage geratenen Banken aufgrund von regulatorischen Lücken und von Aufsichtsversagen unkontrolliert Risiken anhäufen. Letztlich wurden diese kriselnden Institute durch staatliche Garantien und die Unterstützung von Zentralbanken gerettet, um einen systemischen Zusammenbruch zu verhindern.
Die Entscheidungsfrage
Die Lektion ist klar. Anstatt Sicherheitsmaßnahmen abzubauen, sollten politische Entscheidungsträger Vorschriften verschärfen und dafür sorgen, dass die international vereinbarten Regeln vollständig umgesetzt und mit einer strengen Aufsicht angewendet werden. Nur 17 Jahre nach der Großen Rezession bereiten verzögerte Reformen, abgeschwächte Vorschriften und die Rückkehr zu riskanten Geschäftspraktiken sonst den Boden für die nächste Krise. Es liegt an politischen Entscheidungen, ob die nächste Finanzkrise kommt oder nicht. Indem wir uns einem internationalen Wettlauf um die niedrigsten Bankvorschriften widersetzen, für eine globale Zusammenarbeit eintreten und uns mit neu auftretenden Risiken auseinandersetzen, können wir die Finanzstabilität sichern und künftige Generationen schützen.
Die Bankenbranche lobbyiert gegen Schutzmaßnahmen zur Verhinderung einer weiteren Krise. Finance Watch setzt sich für Regeln zur Verhinderung einer weiteren Krise ein. Unterstützen Sie uns, um der Macht der Finanzlobby etwas entgegenzusetzen:
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Finanzmarktregeln sind nicht in Stein gemeißelt, sondern werden von Menschen gemacht. Es ist die Aufgabe der Zivilgesellschaft, die Politikdavon zu überzeugen, diese Regeln zu ändern.
Max Kretschmer, Finance Watch
Die Regeln des Finanzwesens sind nicht in Stein gemeißelt, sondern werden von Menschen gemacht. Es ist die Aufgabe der Zivilgesellschaft, sie umzustimmen.