Europas Antwort auf Trumps Wirtschaftsoffensive darf nicht Deregulierung sein
Jahrzehntelange Fortschritte bei der Finanzmarktregulierung in Europa stehen aktuell auf dem Spiel. Die neue wirtschaftliche Schock-Doktrin von US-Präsident Trump führt die EU in Versuchung, ihre eigenen Regeln aufzuweichen. Doch es gibt einen besseren Weg, um mitzuhalten – einen, der Europas Stabilität und Souveränität sogar stärken würde.
Seit dem Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump im Januar 2025 hat die US-Regierung ihre Handelsbeziehungen und ihre Einstellung zur internationalen Zusammenarbeit grundlegend neu ausgerichtet. Jahrzehnte der Globalisierung werden zurückgedreht, und Europa wird in eine gefährliche Lage versetzt.
Europe im MAGA-Land
Trumps wirtschaftspolitischer Ansatz wird oft als selbstschädigender Protektionismus beschrieben. Tatsächlich zielt seine wirtschaftliche Erpressungstaktik darauf ab, europäischen Entscheidungsträgern Zugeständnisse abzuringen. Die Logik dahinter: Wenn Europa in den Handelsgesprächen mit den USA einige regulatorische Standards[1] opfert, kann es mögliche Zölle auf seine exportorientierte Wirtschaft vermeiden und einfach abwarten, bis Trumps Politik an ihren wirtschaftlichen Folgen scheitert. Doch dieses Kalkül ist trügerisch. Denn Trumps Regierung instrumentalisiert die amerikanische Handels- und Währungsmacht – und stellt damit Europas wirtschaftliche Souveränität auf eine harte Probe.
Trumps Plan zur Reindustrialisierung
Trumps wirtschaftspolitische Agenda zielt darauf ab, Industrieproduktion in die USA zurückzuholen. Dabei verfolgt er eine Doppelstrategie. Erstens bringt er internationale Handels-, Sicherheits- und Kooperationsbeziehungen ins Wanken, um andere Staaten unter Druck zu setzen. So sollen sie dazu gebracht werden, mehr US-Produkte zu kaufen sowie eigene regulatorische Standards abzusenken und damit amerikanischen Unternehmen vereinfachten Zugang zu ihren Märkten zu verschaffen. Der Einsatz hoher Zölle gegen wichtige Handelspartner war der erste Schritt. In einem zweiten versucht Trump, mit massiven Steuersenkungen für Unternehmen ausländische Industrieinvestitionen in die USA zu lenken. Gleichzeitig übt er politischen Druck auf die US-Notenbank aus, mehr Staatsanleihen zu kaufen und die Zinsen zu senken. Das soll den Dollar schwächen und amerikanische Exporte wettbewerbsfähiger machen.
Trumps Politik birgt auch Risiken für die USA. Sie belastet die Staatsfinanzen und gefährdet die internationale Stellung des Dollars[2]. Um diese Dominanz dennoch zu sichern, werden Vorschläge gemacht, die ausstehenden US-Schulden zwangsweise in Anleihen mit hundertjähriger Laufzeit umzuwandeln und die internationale Verbreitung von dollarbasierten digitalen Währungen zu fördern.[3]
Der regulatorische Unterbietungswettlauf (‘regulatory race to the bottom’)
Angesichts wachsender wirtschaftlicher Unsicherheit steigt auch in Europa der politische Druck, eine geeignete Antwort auf Trumps Politik zu finden. Statt mit Investitionen in die grüne und digitale Transformation zu reagieren, lässt sich die EU allerdings auf einen regulatorischen Unterbietungswettlauf ein. Unter dem Deckmantel der Vereinfachung und im Namen der Wettbewerbsfähigkeit werden aktuell zahlreiche Schutzstandards infrage gestellt.
Dies geschieht mit dem Ziel, Europas Attraktivität durch einen schnellen Abbau sogenannter ‘regulatorischer Lasten’ zu steigern. Doch es fehlt an konkreten Initiativen, die tatsächlich neue produktive Investitionen schaffen. Gleichzeitig nutzen Wirtschaftsverbände die Gelegenheit, um zentrale Schutzregeln in Frage zu stellen. Allein im Finanzbereich schlägt die EU-Kommission vor, über 120 geplante technische Standards aufzuschieben. Betroffen sind Vorschriften bei Banken, Versicherungen, Kapitalanlagen und nachhaltigen Finanzen, unter anderem zu Verbraucherschutz, Transparenz, Unternehmensverantwortung, Datenschutz und Finanzstabilität.
Während die USA Teile ihrer Bankenregulierung aus der Zeit nach der Finanzkrise zurücknehmen, geht Europa in dieselbe Richtung. Die Umsetzung der internationalen Basel-III-Regeln wird geschwächt, obwohl sie dazu dienen, künftige Finanzkrisen zu verhindern.
Dieser Deregulierungskurs ist von Trumps Agenda mitgeprägt und bedeutet eine Abkehr vom Gemeinwohl und von internationaler Zusammenarbeit. Gleichzeitig werden die Grundpfeiler des europäischen Wirtschaftsmodells untergraben: rechtliche Verlässlichkeit, faktenbasierte Politik und soziale Standards.
Trumps Politik ist kurzsichtig, begünstigt große Konzerne, ignoriert wissenschaftliche Erkenntnisse und nimmt negative Folgen für die Weltwirtschaft in Kauf. Für Europa bringt ein solcher Kurs keine Vorteile. Eine Aufweichung der Finanzregeln würde genau in dem Moment die eigene Souveränität schwächen, in dem sie am meisten gebraucht wird.
Investitionen für ein starkes Europa
Europa sollte auf diese Herausforderung stattdessen mit einem klaren Gegenentwurf reagieren. Die EU kann ihre internationale Rolle stärken und Stabilitätsanker in der Weltwirtschaft sein. Wie EZB-Präsidentin Christine Lagarde jüngst betonte, bietet der Rückzug der USA aus ihrer globalen Verantwortung Europa die Chance zur “strategischen Autonomie”. Europa kann zu einem zuverlässigen und attraktiven Wirtschaftsraum für neue Partnerschaften werden.
Dazu braucht es allerdings den politischen Willen. Die Mitgliedstaaten müssten nationale Einzelinteressen zurückstellen und gemeinsame Strategien für wirtschaftliche Entwicklung verfolgen. Das bedeutet eine abgestimmte Industriepolitik, eine beschleunigte Umsetzung des Green Deals, die Sicherung geldpolitischer Unabhängigkeit, eine stärkere internationale Rolle des Euro und einen integrierten Kapitalmarkt mit klaren Schutzregeln.
Finanzregulierung als Grundlage strategischer Autonomie
Um ihre strategische Autonomie zu sichern, muss die EU den Schutz ihrer geldpolitischen Souveränität dringend zur Priorität machen. Dazu gehört, das Projekt eines digitalen Euro entschieden voranzutreiben und die Regulierung von Kryptoanlagen zu stärken, insbesondere durch Beschränkungen für Stablecoins, die an den US-Dollar gekoppelt sind.
Zugleich sollte die EU die Widerstandsfähigkeit ihres Finanzsektors deutlich erhöhen, indem sie die Regulierung KI-gestützter Finanzdienstleistungen ausbaut und die Abhängigkeit von ausländischen IT-Anbietern und großen Technologiekonzernen reduziert. Dies betrifft insbesondere die Bereitstellung von kritischer digitaler Infrastruktur und von Dienstleistungen, die für Europas zentral für den europäischen Finanzmarkt sind.
Ein robustes Finanzsystem erfordert zudem klare Regeln für den Einsatz von künstlicher Intelligenz im Finanzsektor. Internationale Standards wie Basel III sollten konsequent umgesetzt werden, um Finanzkrisen vorzubeugen. In der Handelspolitik muss die EU ihre Wirtschaftsbeziehungen breiter aufstellen, neue Partnerschaften mit kooperationsbereiten Staaten eingehen und Nachhaltigkeit sowie soziale Ziele fest in Handelsabkommen verankern.
Gleichzeitig sollte die EU ihre wirtschaftliche Basis stärken, um attraktiver für Unternehmen und Investoren zu werden. Das bedeutet eine echte Kapitalmarktintegration, gezielte Investitionen in Innovation und nachhaltige Entwicklung sowie einen konsequenten Schutz von Arbeitnehmerrechten und sozialen Standards in der EU.
Klimaschutz ist wirtschaftliche Notwendigkeit
Wirtschaftliches Wachstum und Wohlstand sind nicht möglich in einer von Klimakrise und Umweltzerstörung geprägten Wirtschaft. Die Energiewende ist eine zentrale Herausforderung und zugleich eine große Chance für ein starkes Europa. Der Rahmen für nachhaltige Finanzen ist dabei ein strategischer Vorteil, den es zu schützen gilt.
Die starke Abhängigkeit der EU von fossilen Energieimporten, allein im Jahr 2023 wurden 450 Milliarden Euro ausgegeben, ist im aktuellen Kontext globaler wirtschaftlicher Spannungen eine erhebliche Schwäche. Sie trägt auch dazu bei, dass viele europäische Unternehmen an Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Weniger fossile Abhängigkeit würde zudem geopolitische Risiken verringern, etwa die Gefahr wirtschaftlicher Erpressung durch fossile Exportländer.
Statt die nachhaltige Finanzregulierung aufzuweichen, sollte die EU ihre bestehenden Instrumente entschlossen umsetzen und verbessern: unter anderem das Lieferkettengesetz, die Taxonomie, Offenlegungsstandards, Regeln zum Klimarisikomanagement sowie das CO2-Grenzausgleichssystem.
Fiskalpolitik strategisch ausrichten
Die EU muss ihre Architektur für öffentliche Finanzen überdenken und ihre Fiskalregeln so reformieren, dass strategische Zukunftsinvestitionen möglich werden, etwa in die grüne und digitale Transformation. Öffentliche Investitionen sind nicht nur für diese Prioritäten unerlässlich, sondern auch für den sozialen Zusammenhalt – etwa um Menschen bei der Bewältigung geopolitischer und klimabedingter Veränderungen zu unterstützen.
Der Einsatz gemeinsamer europäischer Schuldtitel zur Finanzierung dieser Investitionen würde auch den Fortschritt bei der geplanten Spar- und Investitionsunion [4]befördern, indem ein sicheres europäisches Anlageprodukt als internationale Alternative zu US-Staatsanleihen geschaffen wird.
Ein klarer europäischer Kurs
Für all dies braucht Europa eine starke Finanzmarktregulierung. Der Abbau von Schutzstandards würde das Fundament der europäischen Eigenständigkeit untergraben. Verlässliche Regeln, transparente Entscheidungsprozesse, demokratische Kontrolle und Rechtssicherheit sorgen für ein stabiles Umfeld für Wirtschaft und Gesellschaft und sind ein zentraler Wettbewerbsvorteil.
Noch bleibt genügend Zeit, den aktuellen Kurs zu korrigieren. Die US-amerikanische Deregulierungswelle sollte kein Vorbild für Europa sein. Im Gegenteil, Europa hat jetzt die Chance, sich als verlässlicher globaler Akteur zu positionieren: mit klaren Regeln, starker Zusammenarbeit und einer positiven Vision für die Zukunft.
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Pablo Grandjean and Axelle Van Wynsberghe, Finance Watch
[1] Regulatorische Standards: In modernen Handelsabkommen gelten soziale und ökologische Standards oft als Handelshemmnis. Mehr erfahren.
[2] Gefahr für die Dollar-Vormachtstellung: Trumps riesiges Haushaltsdefizit hat bereits zu einer Herabstufung von US-Staatsanleihen geführt. Zusammen mit politischen Angriffen auf die Unabhängigkeit der Notenbank und der Instrumentalisierung des internationalen Finanzsystems untergräbt dies das Vertrauen in den Dollar. Mehr erfahren.
[3] Ein zentrales Machtinstrument: Wenn der Dollar seine Rolle als Weltleitwährung verliert, endet das sogenannte „exorbitante Privileg“ (ein Begriff, den der damalige französische Finanzminister Giscard d’Estaing in den 1960er Jahren prägte), mit dem die USA ihre Doppeldefizite (Handel und Haushalt) finanzieren. Dann müssten die USA eine deutlich restriktivere Haushaltspolitik betreiben, was Trumps eigene Strategie zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit konterkarieren würde. Mehr erfahren.
[4] Spar- und Investitionsunion: Die Spar- und Investitionsunion ist eine EU-Initiative, mit der Ersparnisse von privaten und institutionellen Anlegern besser in langfristige, nachhaltige Investitionen gelenkt werden sollen. Sie zielt darauf ab, die grüne und digitale Transformation zu unterstützen, durch stärkere Kapitalmärkte, grenzüberschreitende Investitionen und mehr Vertrauen in Finanzprodukte.