Mehr Risiko, kaum Ertrag? Das kuriose Comeback der Verbriefung

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Die Wiederbelebung von Verbriefungen wird Europas Investitionslücke nicht schließen. Sie recycelt alte Kredite statt neues Kapital dorthin zu lenken, wo es am meisten gebraucht wird.

Die Europäische Kommission bereitet derzeit Reformen vor, mit denen  spezialisierte Finanzinstrumente wieder zum Leben erweckt werden: sogenannte Verbriefungsgeschäfte. Mit Verbriefungen werden zum Beispiel Immobilienkredite, Auto- oder Verbraucherkredite zu Finanzprodukten gebündelt und an Investoren weiterverkauft. Vor 2008 wurde sie als Mittel zur Risikostreuung gepriesen. In Wirklichkeit verstärkten sie die Instabilität des Finanzsystems. Als einzelne Bestandteile dieser Verbriefungsgeschäfte, sogenannte Subprime-Kredite, ausfielen, führte das zu Verlusten ganzer Produktstrukturen und beschleunigte die globale Finanzkrise. Seither haben strengere Regeln dabei geholfen, diese Risiken besser einzuhegen.

In der EU steht nun aber ein Comeback der Verbriefungs-Euphorie an. Einige Mitgliedstaaten, allen voran Deutschland und Frankreich, planen gemeinsam mit Teilen der Finanzindustrie, die EU-Verbriefungsregeln wieder aufzuweichen. Sie argumentieren, ein wiederbelebter Verbriefungsmarkt könne Investitionen in Europa ankurbeln, Banken zu mehr Kreditvergabe bewegen und so auch die grüne und digitale Transformation finanzieren.

Doch diese Versprechen werden nicht eingelöst werden. Verbriefungen lenken Kapital nicht dorthin, wo es gebraucht wird. Sie bestehen aus den falschen Krediten und werden auf die falsche Weise eingesetzt.

Die falschen Kredite

In Europa beinhalten nur wenige Verbriefungen tatsächlich Kredite an kleine und mittlere Unternehmen. Denn um in Verbriefungsgeschäfte aufgenommen zu werden, müssen Kredite mit ähnlichen Merkmalen gebündelt werden. Individuell ausgehandelte, heterogene KMU-Kredite (Kredite an kleine und mittlere Unternehmen) lassen sich schwerer standardisieren, bündeln und schlussendlich verkaufen. Deshalb bestehen die meisten Verbriefungen aus Verbraucherkrediten oder Hypotheken, also Kreditarten, die zwar den Konsum oder die Immobilienmärkte stützen, jedoch wenig zur Finanzierung produktiver Investitionen beitragen.

Verbriefungen sind ein attraktives Geschäft für den Bankensektor. Wenn Banken Kredite verbriefen, können sie diese Kredite aus ihrer Bilanz entfernen und dadurch die vorgeschriebenen Eigenkapitalanforderungen senken. Theoretisch entsteht dadurch Spielraum für neue Kredite. Aber es gibt keine Verpflichtung, dass diese neuen Kredite kleinen Unternehmen zugutekommen. Die Anreize zur KMU-Finanzierung fehlen schlicht. Für Hypotheken gibt es zudem in der EU längst eine bewährte Alternative, sogenannte Pfandbriefe. Sie sind günstiger, robuster und stehen Banken aller Größenordnungen offen.

Ein geschlossener Kreislauf im Bankensystem 

Viele Verbriefungen werden gar nicht an Investoren verkauft. Die meisten bleiben in der Bilanz der Banken und werden als Sicherheiten genutzt, um Liquidität bei der Zentralbank zu erhalten. Das bedeutet, dass Risiken nicht etwa gestreut werden, sie bleiben vielmehr im Bankensystem.

Zentrales Ziel der EU-Reform ist es, durch Verbriefungsgeschäfte Risiken zu verteilen und Kapital für neue Kredite freizusetzen. Doch diese Logik bricht zusammen, wenn die verbrieften Vermögenswerte das Bankensystem gar nicht verlassen. Wenn Banken Verbriefungen behalten oder untereinander handeln, verschwinden die Risiken nicht.

Noch schlimmer, die neuen Regeln könnten dazu führen, dass Banken für Verbriefungen weniger Eigenkapital vorhalten müssen als für die ursprünglichen Kredite. Das lädt dazu ein, bestehende Regeln auszunutzen und mit finanztechnischen Tricks die Kapitalanforderungen zu senken, ohne das tatsächliche Risiko zu reduzieren. Im Ergebnis würden Banken ihre Bilanzen komplexer und potenziell riskanter machen – bei zugleich geringerer Absicherung

Wenn Verbriefung die Antwort ist, was war nochmal die Frage?

Die Idee, Kredite zu bündeln und weiterzuverkaufen, ist nicht grundsätzlich falsch. Doch ohne geeignete Aufsicht wird hieraus ein Instrument zur Risikoverschleierung, nicht zur Risikosteuerung. Und ohne angemessene Kapitalanforderungen fehlen die Puffer, um Verluste aufzufangen, wenn etwas schiefläuft.

Weniger strenge Eigenkapitalregeln erhöhen das systemische Risiko. Diese Abwägung muss gut begründet sein. Derzeit ist aber unklar, welches Problem die geplante Reform eigentlich lösen soll. Ein durchgesickerter Entwurf des Kommissionsvorschlags enthält Pläne, die Kapitalanforderungen zu senken, begleitet von altbekannten Versprechen wie der ‚Freisetzung zusätzlichen Kapitals für Kredite in der EU-Wirtschaft‘ und dem Aufbau einer ‚Spar- und Investitionsunion.“

Doch die Vorschläge der Kommission werden diese Ziele nicht erreichen. Selbst wenn Verbriefungen verkauft werden, sind Banken nicht verpflichtet, das „freigesetzte“ Kapital für produktive Investitionen zu nutzen. In der Praxis dient es häufig dazu, regulatorische Anforderungen zu erfüllen oder die Ausschüttung an Aktionäre durch Dividenden oder Aktienrückkäufe zu erhöhen. Anders als Eigenkapitalinvestoren, die frisches Kapital ins System bringen, recyceln Banken oft lediglich Kapital, das ohnehin im Umlauf ist. Die Verbriefung hilft den Banken also vor allem, Kapitalanforderungen zu erfüllen, ohne dabei produktive Investitionen zu fördern.

Recycelte Bankkredite sind keine Lösung

Das verweist auf ein grundlegendes Problem hinter der Wiederbelebung der Verbriefung. Sie trägt nichts zur Weiterentwicklung der Kapitalmärkte in der EU bei. Europa ist im internationalen Vergleich ohnehin stark von Bankfinanzierung abhängig, und Verbriefung ändert hieran nichts. Im Gegenteil: Sie verstärkt den geschlossenen Kreislauf innerhalb des Bankensystems, indem Risiken lediglich verschoben werden, ohne dass neues Kapital in die Realwirtschaft fließt.

Gleichzeitig kämpfen Unternehmen in der EU weiterhin mit dem Zugang zu Risikokapital, das sie für Wachstum und Innovation bräuchten. Die Kapitalmärkte sind nach wie vor zersplittert. Deshalb entscheiden sich vielversprechende Unternehmen oft dafür, sich im Ausland, vor allem in den USA, zu listen oder ihren Sitz zu verlagern, weil sie dort auf liquidere Märkte und investitionsfreudigere Kapitalgeber stoßen.

Was produktive Kapitalmärkte wirklich brauchen

Europas Problem ist nicht zu wenig Kreditvergabe durch Banken, sondern fehlende Quellen für Eigenkapital. Unternehmen brauchen echte Investorinnen und Investoren, die frisches Kapital zur Verfügung stellen und so eine langfristige, stabile Finanzierung ermöglichen. Dafür bräuchte es einen integrierten Kapitalmarkt in der EU, auf dem Unternehmen Mittel durch die Ausgabe von Aktien oder Anleihen aufnehmen können. Doch hierfür sind wirklich tiefgreifende Reformen nötig. Die Mitgliedstaaten müssten ihr Insolvenz- und Unternehmensrecht harmonisieren und der EU stärkere Aufsichtsbefugnisse einräumen, politische Schritte, die viele Regierungen bislang blockieren.

Die traurige Wahrheit ist: Verbriefungsgeschäfte erfahren so viel Aufmerksamkeit, weil sie zu den wenigen Maßnahmen gehören, auf die sich die Mitgliedstaaten einigen können. Doch leider werden sie wenig zur Finanzierung der Realwirtschaft beitragen. Sie sind kein Maßstab für die Liquidität der Kapitalmärkte und stehen im Widerspruch zu den erklärten Zielen einer europäischenSpar- und Investitionsunion. Anstatt sich auf obskure Finanzinstrumente wie Verbriefungen zu fixieren, sollten die Mitgliedstaaten ihre politischen Differenzen überwinden und echte Fortschritte bei der Integration der Kapitalmärkte erzielen.

 

Max Kretschmer, Finance Watch 

 

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