Die Kosten des Handelns und des Nichthandelns: Wie man die ökologische Debatte (wirklich) mit der Haushaltsdebatte verbinden kann

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Die Haushaltsdebatte muss sich von veralteten fiskalischen Zwängen lösen und die Kosten von Handeln versus Nichthandeln im Kampf gegen den Klimawandel in den Fokus rücken. Investitionen in die Bewältigung der Klimakrisesind nicht nur eine Notwendigkeit für die Lebensfähigkeit unseres Planeten, sondern auch eine finanzielle Verpflichtung, um wirtschaftlichen und sozialen Kollaps zu verhindern.

Die aktuelle Haushaltsdebatte ist eine Debatte in buchhalterischen Kategorien: Wie können die Einnahmen erhöht und die Ausgaben gesenkt werden, um die Defizite zu verringern und die europäischen Haushaltsregeln einzuhalten, die das zulässige Haushaltsdefizit auf 3 % des BIP und die Staatsverschuldung auf 60 % des BIP begrenzen?

Diese Regeln, über deren Sinnlosigkeit sich die überwiegende Mehrheit der Wirtschaftswissenschaftler einig ist, sind Spiegelbild des Status quo vor 35 Jahren, als der Maastrichter Vertrag ausgehandelt wurde. Diese Momentaufnahme von den öffentlichen Finanzen Anfang der 1990er Jahre wurde so zu einer „heiligen Kuh“, und im europäischen Recht wurde damit festgeschrieben, dass sich die Welt nicht mehr weiterentwickelt. Der Staat ist in seinem politischen Handeln in Europa heute durch ein Korsett eingeschränkt, das die Europäische Union selbst so eng geschnürt hat und für sie einen sehr hohen Preis haben könnte. Im Vergleich dazu belaufen sich die Schulden der Vereinigten Staaten auf 124% ihres BIP und die Japans auf 260%.

Im Rahmen der Haushaltsdebatte sollte eine Vision staatlichen Handelns in der Zukunft in einen konkreten Finanzrahmen übersetzt werden. Dabei sollten sich verändernde Rahmenbedingungen undwirtschaftliche Gegebenheiten berücksichtigt werden. Vor allem aber sollten die Kosten des Handelns und des Nichthandelns gegenübergestellt werden.

Die Kosten des Handelns fallen sofort an. Im jüngsten Draghi-Bericht werden sie für die Europäische Union auf 800 Milliarden Euro pro Jahr beziffert, was 5 % ihres BIP entspricht. Der Bericht von Finance Watch mit dem Titel ‘Europe’s Coming Investment Crisis’ schätzt diese Kosten auf 1,2 Billionen Euro jährlich, also 7,5 % des europäischen BIP. Der entscheidende Punkt, der in dem Bericht von Finance Watch hervorgehoben wird ist, dass nur ein Drittel dieser Investitionen durch privates Kapital finanziert werden kann. Die restlichen zwei Drittel müssen mit öffentlichen Geldern finanziert werden und stellen eine zusätzliche jährliche Belastung in Höhe von 3 % bis 5 % des europäischen BIP dar.

Die Kosten des Nichthandelns hingegen fallen erst später an und sind noch viel höher. Werden die dringend notwendigen Investitionen nicht getätigt, wird das jährliche Haushaltsdefizit Frankreichs mindestens 30 % des BIP betragen, wenn Gabriel Attal das Alter von Michel Barnier erreicht hat.

Der Grund liegt auf der Hand. Der Klimawandel wird die Wirtschaftsentwicklung stark negativ beeinflussen, und die Staatseinnahmen schwanken ceteris paribus langfristig in Abhängigkeit vom BIP.

Der Vorsitzende des IPCC, Jim Skea, hat uns unmissverständlich gewarnt. Das 1,5°C-Ziel ist nun nicht mehr erreichbar, eine Erderwärmung von 2°C würde in der Welt von heute unrealistische Anstrengungen erfordern, sodass wir weltweit wahrscheinlich bei 3°C landen werden. In Westeuropa sogar bis zu 5°C.

Seriöse Wirtschaftsmodelle zeigen bei einer Erderwärmung von 3°C einen negativen BIP-Effekt von mindestens 30 %, bei manchen sind es sogar 50 %. Die Auswirkungen auf das Haushaltsdefizit werden sich in derselben Größenordnung bewegen.

Die einzige Möglichkeit, dies zu verhindern, besteht darin, heute nicht nur in die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft zu investieren, sondern auch und vor allem in die Anpassung an den Klimawandel und dessen Eindämmung.

Angesichts der von der Europäischen Umweltagentur prognostizierten Kosten von Eine Billion Euro pro Jahr durch Küstenhochwasser, was 6 % des BIP der Europäischen Union entspricht, sollten die Regierungen der europäischen Länder jetzt handeln, um die notwendige Infrastruktur zu planen und zu bauen. Dadurch könnte verhindert werden, dass diese Hochwasserereignisse solch gravierende negative Auswirkungen auf die Wirtschaft und folglich auf die öffentlichen Haushalte haben. Wie es der arithmetische Zufall so will, könnte allein dadurch in Zukunft ein zusätzliches Staatsdefizit von 6 % vermieden werden, das damit dem aktuellen Defizit Frankreichs entspricht, das der Politik derzeit so viel Kopfzerbrechen bereitet.

Bei rein rationaler Betrachtung unter finanziellen Gesichtspunkten ist die Entscheidung zwischen Handeln und Nichthandeln eine einfache Abwägung der Kosten beider Optionen. Beispielsweise kann das Kosten-Nutzen-Verhältnis von Investitionen zur Anpassung an den Klimawandel laut Experten bis zu 1:10 betragen, d. h. 0,6 investieren, um nicht Verluste von 6 zu erleiden. Und dabei sind die schrecklichen humanitären und sozialen Kosten noch gar nicht gar nicht berücksichtigt, die ein Nichthandeln mit sich bringt, oder der positive wirtschaftliche Effekt des Handelns, denn 0,6 wären genauso viel zusätzliches BIP, wie bereits heute generiert wird.

Eine einfache Entscheidung? Rational betrachtet ja, aber politisch bleiben zwei Fragen bleiben:

Sind politische Entscheidungsträgerbereit, den Zustand der Welt in vierzig Jahren zu berücksichtigen und sowohl die Kosten des Handelns als auch die des Nichthandelns abzuwägen?

Und haben sie die visionäre Kraft und den Mut, die europäischen Haushaltsregeln zu reformieren, die in einem radikal veränderten ökologischen, wirtschaftlichen und geopolitischen Umfeld offensichtlich nicht mehr zeitgemäß sind?

Ein Nein auf diese beiden Fragen könnten wir uns nicht nur finanziell nicht leisten.

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